Neulich in einer Facebook-Gruppe war es wieder so weit:
Ein Physiotherapeut war völlig begeistert von sich selbst, weil seine Methoden bereits „wissenschaftlich bewiesen“ wurden – und machte im gleichen Atemzug meine Arbeit runter, weil sie, bzw. ihre Wirkweise, nicht bewiesen sei.
Bis jetzt habe ich nach solchen Sprüchen tief Luft geholt, mit meinen Augen gerollt (das kann ich mittlerweile wirklich gut!) und bin leicht genervt meines Weges gegangen.
Um in Zukunft aber nicht mehr mit meinen Augen rollen zu müssen, sondern sachlich meine Sicht der Dinge kund zu tun, habe ich besagte Sichtweise hier mal aufgeschrieben.
Als erstes stellt sich die Frage, was ein wissenschaftlicher Beweis ist?
Denn in der Naturwissenschaft gibt es keine Beweise, sondern nur Belege.
Der Grund: Im Gegensatz zur Mathematik und Logik kommt in der Naturwissenschaft gerne das normale Leben dazwischen, so dass ein 100%ig zutreffender Beweis einfach nicht geleistet werden kann.
Nichtsdestotrotz gibt es Thesen, die belegt werden. Je mehr Belege, desto besser, klar.
Auf alle Fälle sind die Anforderungen an einen „wissenschaftlichen Beweis“ (der Begriff ist eingebürgert, daher nutze ich ihn trotz seiner Unrichtigkeit) hoch – und das ist auch gut so!
So hat sich in der Vergangenheit das Wissen in der Medizin (= die Naturwissenschaft, um die es in diesem Beitrag geht), immer weiter verbessert, und damit wurden auch die Therapien regelmäßig akutalisiert.
Ein aktuelles Beispiel ist das Ringen um den besten Umgang mit Covid 19. Heute gehen wir mit dem Virus anders um als noch vor einem Jahr. Und sicher wird sich das in der Zukunft wieder ändern, vermutlich sogar mehrfach.
Noch ein Beispiel:
Bei Bandscheibenvorfällen sind OPs i.A. nicht mehr die Therapie der Wahl. Mittlerweile wird vorwiegend mit Physiotherapie, Wärme und Schmerzmitteln gearbeitet.
Was zeigt:
Bei aller Wissenschaftlichkeit kann eine etablierte Methode immer wieder von neuen Erkenntnissen überholt werden, man denke an den Aderlass, DIE Therapie der Wahl bei allen möglichen Krankheiten bis in’s 19. Jahrhundert.
(Wieviele Menschen letztendlich vom Aderlass getötet statt gerettet wurden, mag ich mir nicht ausmalen!)
Anders herum können Methoden, die heute noch einen „anrüchigen Ruf“ haben, oder nicht mal existieren, irgendwann etabliert sein, denken wir nur an die „Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen“ oder die Verhaltenstherapie nach Ellis.
Die Naturwissenschaft ist also nichts Feststehendes. Prüfmethoden, Versuchsanordnungen und immer neue brilliante Köpfe entwickeln unser Wissen wissen-schaftlich immer weiter.
Daher würde ich mich persönlich nicht auf rein wissenschaftliche Aussagen in der Medizin verlassen wollen. Denn die sind nicht in Stein gemeißelt.
Dass (noch) keine 100%ig zutreffende Erklärung für Energiearbeit gefunden wurde, heißt daher noch lange nicht, dass sie nicht funktioniert.
Es bedeutet nur, dass dafür – noch – kein Nachweis erbracht wurde, der den hohen Anforderungen der Wissenschaft genügt.
Denn da die Erfolge der Energiearbeit immer abhängig sind von Therapeut, PatientIn und Arbeitsgebiet ist, können seriöse Versuchsanordnungen kaum gewährleistet werden.
Dabei gibt es massenhaft Erklärungen und Belege für ihre Wirksamkeit. Manche sogar von „echten Wissenschaftlern“ (ja, das liest sich jetzt etwas merkwürdig, aber ihr wisst schon, was ich meine) erbracht.
Das ist natürlich schade. Aber für mich kein Grund, nicht die erzielten Erfolge zu sehen und mich darüber zu freuen.
Einen Haken hat die Sache trotzdem:
Gerade, weil dieser Bereich nicht wissenschaftlich nachweisbar ist, tummeln sind viele schwarze Schafe in der energetischen Therapie: Sei es, weil es tatsächlich nur eingebildete Erfolge sind – oder weil Scharlatane schlicht gutes Geld mit Nichts verdienen wollen.
Einige „Heiler“ sind daher bemüht, mit „Wissenschaftlern“ zusammenzuarbeiten und sich für Versuche zur Verfügung zu stellen. Dummerweise kosten wissenschaftliche Untersuchungen viel, bringen aber wenig. Also scheitern solche Tests oft am Finanziellen.
Was ist nun die Quintessenz?
Es macht keinen Sinn, sich als Therapeut auf der Nutzung von „wissenschafltich bewiesenen“ Methoden auszuruhen – oder als Therapeut von (noch) nicht bewiesenen Verfahren krampfhaft Beweise herbeizu“zwingen“.
Viel wichtiger ist es, unseren Fokus darauf zu richten, den PatientInnen zu helfen.
(Und wenn ich jetzt noch ein einziges Mal dieses „Auf den Pfaden der Wissenschaft…“ von einem Physiotherapeuten lese, kann ich für nichts mehr garantieren …)
PS:
Was ich trotzdem noch betonen möchte: Ich selber habe durch die Schulmedizin schon viel Hilfe erfahren und achte sie (und auch gute Physiotherapie) sehr.
Ich kann’s nur nicht leiden, wenn meine Arbeit abgelehnt wird, ohne vorher eigene Erfahrungen damit gemacht zu haben.
Weiterhin:
Ich selber bin nach den Empfehlungen der Impfkommission geimpft, und ich lasse mich auch gegen Covid 19 impfen, wenn ich an der Reihe bin. Weil die bisherigen Versuche und wissenschaftlichen Erkenntnisse ganz klar sicherer sind, als meine eigenen Methoden, das Immunsystem zu stärken. Dass ich mich trotzdem zusätzlich mit anderem stärke, schließt sich dabei für mich nicht aus.